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Kann man sich neu erfinden?

Es ist Ende Mai 2019. Der letzte Blogeintrag ist von Mitte Januar, allerdings 2018. Ich habe also fast 1 1/2 Jahre keinen Eintrag mehr geschrieben. Dabei ist so vieles passiert. Und sicher hätte es mir sehr gut getan einiges davon, in Schriftform, zu verarbeiten. Jedoch hatte ich erst nicht die Zeit und später nicht mehr die Kraft dazu.

Obgleich, Zeit hat man nicht, sondern nimmt sie sich… Selbiges tue ich also nun (endlich wieder). Und gleichzeitig fange ich, mal wieder, ganz von vorne an.

Diesmal habe ich nicht den Blog und alle seine Texte gelöscht. Dank git und github sind diese noch verfügbar; werden es auch bleiben. Doch mein gesamtes Leben habe ich einmal auf Links gedreht und komplett verändert, oder eben auch nicht.

Ich habe meinen Job an der Nordsee aufgegeben, obgleich es fraglich ist, ob dies die korrekte Wortwahl ist. Denn der Vertrag war befristet und eigentlich war mir bereits kurz nach dem Antritt der Stelle klar, dass diese nach der Befristung vermutlich nicht weitergehen würde, da ich daran kein Interesse hätte. Nachdem ich in 2018 jedoch vermehrt krank war, was zum einen körperliche Gründe (u.a. ein kaputtes Knie) hatte, zum anderen auch einfach der Lustlosigkeit und einer aufkommenden Depression geschuldet war, war es im beidseitigen Interesse das Verhältnis nicht weiter fortzuführen.

Depression ist eine schwierige Krankheit. Man selbst erkennt sie wohl kaum, oder mag sie zumindest nicht wahr haben. Hat(te) man sie jedoch nicht selbst, so kann man sie kaum wirklich begreifen. Zumindest geht oder eher ging es mir so. Ein Mensch der mir, zumindest für eine Zeit, sehr wichtig war, diagnostizierte mir mehrfach, dass ich unter einer Despression leiden würde. Ich sah dies jedoch vollkommen anders. Depression, das ist was für Weicheier. So etwas neumodisches habe ich nicht, glaubte ich… Inzwischen bin ich eines besseren belehrt und der Meinung, dass meine ehemalige Stelle dies verursacht oder zumindest stark begünstigt hat. Naturgemäß bringen Schuldzuweisungen jedoch niemanden weiter und diese Stelle ist Vergangenheit…

Nach Drohungen und mehreren, tätlichen Übergriffen im Dienst entschied ich dann, dass ich nicht nur die Stelle aufgeben würde, sondern auch die Stadt verlassen müsse. Ein Abend, an welchem ich im Dienst, in Uniform, erst bedroht wurde und man mich danach, durch eine weitere Person, versuchte zu überfahren, besiegelte diese Entscheidung. Was folgte war ein Gespräch mit meinem Abteilungsleiter, Darlegung der Sachlage und ein einvernehmlicher Abschied. Ich nahm Resturlaub und ging danach, in Absprache mit meiner Ärztin, in den Krankenstand. Außerdem verlies ich am gleichen Tag die Stadt…

Rückblickend betrachtet ist es schon seltsam. Sicher war es schon oft so, dass ich umgezogen bin, dabei oft auch viel verbrannte Erde hinterlies. Aber aus einer Stadt regelrecht flüchten zu müssen, aus Angst um Leib und Leben, war eine neue Erfahrung, auf welche ich auch hätte verzichten können. Doch schon meiner Schwester zu Liebe, welche sich vermutlich mehr Sorgen um mein Wohlergehen machte als ich selbst, war dies notwendig.

Vorerst ging ich zu einem Menschen, der mir zu dieser Zeit sehr wichtig war. Dort verbrachte ich einige Wochen, bis ich kurz vor dem Valentingstag zu meiner Familie fuhr, da diese Unterstützung brauchten. Kurz nach dem Valentingstag machte Sie, ohne dass es Streit gegeben , oder ich einen anderen Grund erkannt hätte, per E-Mail Schluss. Von jetzt auf gleich war ich eine Persona non grata, augenscheinlich ohne jedes zutun. Eine ganz neue Erfahrung!

Ghosting, ok. Auch ich habe dies, eher unabsichtlich, schon viel zu oft betrieben. Aber Kontaktabbruch per E-Mail und Beleidigungen ohne erkennbaren Grund. Das war neu…

Somit blieb ich bei der Familie, für mehrere Monate, wurde faul und fett(er). Wenn man ohnehin in einer Depression steckt, oder zumindest Schritt für Schritt hinein rutscht, ist monatelanges, nutzloses herumsitzen wenig hilfreich. Und man kann gerne 15 kg und mehr zunehmen, ohne es wirklich wahrzunehmen, oder man ignoriert diese Tatsache einfach fabelhaft… (Klamotten passen nicht mehr? T-Shirt und Jogginghose gehen noch, gerade so…) Unterm Strich ging es Berg ab, ohne dass ich es merkte…


Schluss mit dem Geheule… Ein neuer Job musste her, denn irgendwann lief dann ja meine Befristung endgültig aus und die Arbeitslosigkeit drohte. Ich suchte nach Jobs, fand einige Stellenangebote die meinen Vorstellungen entsprachen und schrieb eine handvoll Bewerbungen. Hier auch wieder die Erfahrung, dass gerne einfach gar nicht reagiert wird und auch, dass man angerufen wird, einige Dinge gefragt werden, die Einladung zu einem Gespräch zugesichert wird, aber man nie wieder etwas hört…

Eine Firma jedoch lud nicht nur zum Gespräch ein, sondern machte auf mich auch einen sehr guten Eindruck. (Man hat schließlich auch seine Ansprüche…) Doch einen Harken gibt es immer… In diesem Fall, dass die Stelle rund 1.000 km weit weg, am Bodensee, liegt. Für mich eine Chance, die bei meiner Familie allerdings auf wenig Begeisterung stieß. Dennoch entschied ich mich für eine Zusage, denn ist es mein Leben!

Spät Abends fuhr ich los, schließlich würde es eine lange Fahrt werden.


Ich machte einen Umweg, um von einem Freund der Familie, einige meiner eingelagerten Dinge aus dem Keller zu holen. Kurz nachdem ich wieder im Wagen saß, fiel mir ein alter Briefumschlag in die Hände, adressiert an Ms. G. Eine Frau, die mir einst wahnsinnig viel bedeutet hat, mich tief verletzte und den Grundstein für diesen Blog legte. Die alten Texte existieren nicht mehr, jedoch verwies ich im Wer bin ich… Beitrag kurz auf sie. Ich hatte an sie seit über einem Jahr nicht mehr gedacht, kann mir bis heute nicht erklären, woher dieser Briefumschlag kam. Doch löste es in mir das Gefühl des Abschiedes und auch des Abschlusses, aus. Auch fuhr ich noch an mehreren Orten und Wohnungen vorbei die mir mal etwas bedeutet haben bzw. entsprechende Erinnerungen auslösten. Ebenso kam ich, durch Zufall, an der Wohnung vorbei, in welcher der beschriebene Abend verlebt wurde. Es fühlte sich wie eine (unfreiwillige) Abschiedstour an. Und es fiel mir zunehmend schwerer…

Doch auf der Autobahn, mit jedem Kilometer mehr, fiel etwas Anspannung und Schwere ab. Es war wahrlich ein Abschied und gleichzeitig ein Start in ein neues Leben.


Wenn man quer durch die Republik fährt, dies nicht sonderlich schnell tut und hierbei durchgehend alleine ist, hat man viel Zeit zum Nachdenken. Und während dieser Zeit kam mir die Erkenntnis, dass ich ein komplett neues Leben beginne und ziemlich alles und jeden der mich kennt zurücklasse. Dieser Umstand bietet also auch ebenfalls die Möglichkeit sich ganz neu zu erfinden.

Fake it, until you make it. Schließlich weiß niemand ob man wirklich so ist, oder doch ganz anders… Doch gelingt es wirklich? Kann man das was einen ausmacht bewusst und quasi auf Knopfdruck ändern?


Realistisch betrachtet funktioniert dies, aktuell für mich, eher nicht. Arbeitsmäßig läuft es gut, oder geht zumindest Berg auf. Die Stelle war augenscheinlich die absolut richtige Entscheidung. Allerdings erkenne ich auch, dass mich eine Depression fest im Griff hat. Emotional hänge ich einfach komplett durch, fühle mich eher wie ein funktioneller Psychopath. Ich habe teils keinen Antrieb die einfachsten Dinge zu tun. Bereits eine Nachricht lesen oder ans Telefon zu gehen, wenn es klingelt, ist zu viel verlangt. Morgens brauche ich teilweise 1-2 Stunden, bis ich mich dazu aufraffen kann aufzustehen und ins Badezimmer zu gehen. Einfach, weil es nicht geht. Als hätte ich eine Blockade im Kopf.

Bin ich jedoch aufgestanden bzw. geht es um die Arbeit, ist es absolut kein Problem. Duschen, rasieren, auf zur Arbeit, den ganzen durchpowern, mit Freude und einem Lächeln. Und sobald der Feierabend wartet, lauert bereits das schwarze Loch. Dies erklärt vermutlich auch, wieso ich diesen Monat noch keinen Tag frei hatte… Es liegt nicht daran, dass ich nicht hätte frei haben können. Es ist eher darin begründet, dass ich alles dafür getan habe zur Arbeit zu gehen, gewissermaßen gehen zu dürfen. Und doch steht mir nun ein freies Wochenende bevor. Zwei Tage, die mir aktuell ernsthaft Angst machen. Und wenn ich so darüber nachdenke fühle ich mich einfach wahnsinnig einsam.

Aktuell wohne ich, in Ermangelung einer neuen Wohnung, in einem Hotel. Das Zimmer beträgt rund 10 m², womit ich in etwa so viel Platz habe wie einem deutschen Häftling mindestens zusteht. Der Unterschied ist jedoch, dass ich dafür viel Geld zahle und das Zimmer zwar verlassen darf, aber dann irgendwie doch nicht kann. Selbst meinen Hund musste ich (hoffentlich vorübergehend) bei meiner Familie lassen, da hier keine Tierhaltung erlaubt ist. Auch wäre es für ihn wohl deutlich zu wenig Platz.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so einsam fühle würde, wo ich doch sonst froh bin, wenn mir Menschen meine Ruhe lassen. Und gleichzeitig kann ich nicht einmal genau sagen was mir fehlt. Hello Darkness, my old friend…


Hat ja super geklappt, mit dem selbst neu erfinden. Hallo, ich bin Mr. Smith und ich bin depressiv. Glückwunsch…

Ich hatte einen schwarzen Hund passt besser, als ich mir vor einigen Monaten noch eingestehen wollte. Und doch finde ich, dass ein Poetry Slam von Sabrina Benaim es noch deutlich besser trifft.

Auf dem Weg von der Arbeit ins freie Wochenende habe ich die Böhsen Onkelz für mich wiederentdeckt und festgestellt, dass die neuen Lieder das sind, was ich erwartet habe. Gewollt, aber nicht gekonnt, einfach um Kohle zu machen. Aber die alten Lieder wirken, wie sie es bereits damals taten, jedoch sind Lautsprecher in meinem Auto zu schwach… Bin ich nur glücklich wenn es schmerzt? Und ja, nur die besten sterben jung. Scheiße, ich vermisse Dich, Sascha. Auch 24 Jahre später…


Und da ist es wieder, dieses Bedürfnis nach Schmerz. Bin ich nicht (nur) dominant-sadistisch, sondern doch eher / auch maso? Oder haben nur die Stimmen recht, die behaupten, dass jeder Sadist auch eine Maso-Seite hat? Sollte ich also das Angebot eines Kollegen zum Sparing einfach annehmen, oder fehlt nur eine gute Session?


Damit kommt die Frage auf, was ich eigentlich will, wie ich eigentlich sein will. Kann man sich vielleicht doch neu erfinden? Aber, falls ja, wie würde ich sein wollen? Steckt nicht in Wort erfinden auch das Wort finden?

Ich bin dann mal weg, auf der Suche… Ich werde berichten was ich finde!